Vorbemerkung (nachträglich ergänzt): einige wenige Leser, wahrscheinlich auch von Gemeinden verletzte Leser, haben diesen Artikel als einzige große Forderung gedeutet. Deutlich wird aber auch in den Zeilen: meine kritische Hinterfragung meint Leiter und Geleitete. Nur das entspricht dem Leibgedanken. Unterordnung und Hinterfragbarkeit muss für jeden Christen gelten – egal wo er steht, auch für Leiter.
Eindrücke (abstrahiert aus vielen Jahren der Beobachtung der christlichen Szene und nicht konkret auf meine Gemeinde, die FeG Eschweiler bezogen):
- Zum x-ten Mal wird ein Lopreislied gesungen, Text: ich und mein Jesus, begegne mir, gieße Ströme des Heils über mir aus, fülle mich… Ich sage: beten wir eigentlich Vater-Unser oder Vater-Meiner? Gehen die Paulusbriefe eigentlich überwiegend an Gemeinden oder an Einzelpersonen? Christlicher Individualismus.
- In zahlreichen christlichen Ratgeber und seelsorgerischen Büchern finde ich den Hinweis: du darfst von niemandem anders abhängig sein als von Jesus selbst. Ich sage: Theoretisch stimmt das. Praktisch sind wir aufgefordert, einander zu ermahnen und zu ermutigen, zu hinterfragen und Gutes, Wertschätzendes zu reden, das aufbaut. Gemeinde soll das Ziel haben, heilende Gemeinschaft zu sein. Es gibt natürlich ein Heil außerhalb der Kirche (entgegen dem „Extra Ecclesiam nulla salus“ der katholischen Kirche), wer zum Glauben kommt und kurz darauf stirbt, muss nicht um sich fürchten. Aber es gibt keine (langfristige) Heiligung, kein Wachstum außerhalb einer Gemeinschaft! Die zeitweilige Einkehr und freiwillige Einsamkeit muss dem dienen, gemeinschaftsfähiger zu werden, denn als Teil des Leibes dient jeder Teil den anderen und dem Ganzen. Christlicher Individualismus.
- Jemand sagt mir: ich verlasse die Gemeinde, weil der und der mich ungerecht behandelt haben und ich mich irgendwo nicht wohl fühle. Ich sage: Das klingt gut, ist aber ein verkappter Individualismus, denn er macht deinen Maßstab zum Maßstab für das Ganze. Gemeinschaft/Gemeinde ist kein Museum von Heiligen, sondern ein Hospital von Verletzten und Begnadigten. Spätestens wenn du dazu kommst (und ich als Pastor!) ist das so. Man muss mit Konflikten vernünftig umgehen und keine Probleme unter den Teppich kehren, aber man rennt nicht einfach so weg – in der Ehe nicht, in der Gemeinde nicht. Es sei denn, diese produziert grundlegende Irrlehren. Christlicher Individualismus.
- Nach der Predigt sagt mir jemand: ich kann die Predigt zu 80% unterschreiben, mit einigen Dingen bin ich nicht einverstanden. Ich sage: Gut, das ist auch in Ordnung so, wir können gerne diskutieren, aber warum setzt du dich selbst in den Mittelpunkt und hinterfragst sofort die Predigt? Du solltest sie erst hinterfragen, wenn du von ihr zuvor hinterfragt worden bist, denn sie Gottes Wort an dich. Du stehst nicht auf dem Wort, sondern unter ihm. Predigten sind nicht unfehlbar, aber ihre erste Aufgabe ist: Weckung des Glaubens und seine Heiligung und deine Aufgabe ist nicht zuerst, Wertungstafeln hoch zu halten. Christlicher Individualismus.
- Jemand sagt mir: mir geht es nicht gut und keiner kümmert sich um mich. Ich sage: kümmerst du dich denn um die, die sich um dich kümmern sollen? Wo investierst du , anstatt nur Forderungen zu stellen? Bist du in eine konkrete Gruppe integriert, wo du dich mitteilst und öffnest? Wo säst du, um auch zu ernten? Wenn alle säen, kann gemeinsam geerntet werden. Christlicher Individualismus.
- Jemand sagt zu mir: ich brauche keine Gemeinde, ich gehöre ja zum unsichtbaren Leib Christi. Ich sage: das ist ein Irrtum. Der Leib ist eine Dienstgemeinschaft und die geistlichen Gaben dienen konkreten Menschen und keiner Fata Morgana. Natürlich gibt es eine unsichtbare Gemeinde Gottes – weltweit. Aber sie muss biblisch konkret werden. So ist das: Christlicher Individualismus, der der Reibung mit dem Leib aus dem Weg geht und keine Verantwortung übernimmt.
- to be continued….
Der Individualismus hat längst im frommen Gewand Einzug gehalten in unseren Glauben und vernichtet schleichend nicht nur biblische Wahrheit, sondern auch Gemeinden. Grundlegende Forderungen und Verheißungen des NT basieren auf dem Gedanken des Leibes, des „einander“, des „füreinander“ und der Unterordnung. Wenn alle dies beherzigen, wird Gemeinde nicht nur funktionieren, sondern heilsam sein! Wer sich auf die eine oder andere Weise vom Leib Christi separiert, der schadet sich selbst (auch wenn es sich erst besser anfühlen mag) und dem Leib (denn jeder Verlust ist schmerzhaft). Christus ist unterwegs – zusammen mit seinem Leib. Sind wir dabei?
Ein toller Artikel! Aber ein kleiner Fehler ist drin: „Extra ecclesiam nulla salus“ heißt: außerhalb der Kirche kein Heil. Hier ist nicht die römisch-katholische Kirche gemeint. Sondern alle, die sich zum großen Glaubensbekenntnis bekennen.
Nostra Aetate, Dignitatis Humanae und Dominus Iesus sind Belege dafür.
Hier ein kleiner Link für dich: http://de.wikipedia.org/wiki/Extra_ecclesiam_nulla_salus
Der Rest ist super, und ich bin mit Dir einer Meinung.
Starkes Wording. Schafe, die keine Herde und keinen Hirten brauchen. Schafe, die sich nicht führen (und korrigieren) lassen wollen. Schafe, die auch keinen Bock darauf haben, andere zu führen. Joh 10,27: „Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir.“ Wir sind in einer Schafskrise …
Hallo.
Zu „Jemand sagt mir: mir geht es nicht gut und keiner kümmert sich um mich.“ fällt mir ein, dass das einzige Organ, mit dem wir „Nahrung“ aufnehmen können auch das einzige ist, mit dem wir darum bitten können. Das ist sicher kein Zufall…
Kann vielen Punkten zustimmen.
Das ist sicherlich das: diese Situation erst einmal erkennen, die Denkmuster entlarven etc.
Dazu gehört auch das:
Als Pastoren/Prediger müssen wir uns fragen, welcher Teil davon an uns liegt. Predigen wir per „Du“ oder per „Ihr“ – sprich: haben wir die Gemeinde vor Augen oder den einzelnen Christen?
Wie leben wir das Gemeinsame? Oder leben wir selbst im fromm getarnten Egoismus?
Und: Wie sieht die „Therapie“ aus?
Frieden!
Hi Christof!
Sehr gute Gedanken, die leider viel zu oft in unseren Gemeinden der Realität entsprechen. Fühle mich durchaus auch an mancher Stelle ertappt. Im übrigen wirklich kompakt zusammengefaßt. Vielen Dank!
Philipp
?? was ist den der unsichtbare Leib Christi? Hab ich noch nie gehört.
Ich kenne den weltweiten Leib Christi…und der zeigt sich in jedem Christen, dem ich begegne, egal ob er/sie gerade in einer heilsamen Auszeit von GM ist oder aus einer anderen Gemeinde oder aus den verschiedenen Ortsgemeinden kommt oder ob er/sie gerade frisch dazugekommen ist und eine Ortsgemeinde sucht.
Ein Problem was sich daraus ergibt, wir verlieren Vorbilder, weil jeder sich selbst ein Vorbild wird, und danach strebt sich selber als Vorbild darzustellen … komisch, wenn ich das schreibe merk ich erst wie sehr es auch auf mich zutrifft.
Statt auf Glaubensvorbilder in der Bibel etc. zu verweisen, verweisen die Prediger auf sich, dann wird christlicher Individualismus in der Gemeinde zum Fallstrick, wenn der Pastor Individualist ist. Krasses Thema, hab mich darin wiedergefunden, da heisst es ablegen. Danke! Gott vergelts…
Ja, aber…
…es gibt auch verletzte Schafe, die aus einer mißbrauchenden Gemeinde geflohen sind und von Gemeinde die Sch….. voll haben.
Sicher, der Individualismus nimmt zu, aber eben auch Mißbrauch, Irrlehren und falsche Apostel und Propheten.
Sind unsere Gemeinden von Liebe, Annahme und Vergebung geprägt, reduziert sich der Individualismus und auch die Zahl der Gemeindewanderer…
„Herr, gieß Deine Agape auf UNS aus…“
@Dirk: ja klar gibt es Missbrauch, aber das war ja hier nicht das Thema. Ich glaube, die Autoritäten und herrschsüchtigen Leiter waren vor 100 Jahren nicht unbedingt seltener, geistlicher Missbrauch auch nicht – denke ich, man hat nur nicht drüber geredet. Heute ist auch schnell geistlicher Missbrauch, wenn ein Leiter zu einem egoistischen Typen sagt: du läufst schief und verhältst dich nicht der Bibel gemäß. Dann jammert dieser: geistlicher Missbrauch! Zugespitzt, ich weiß.
Allerdings haben wir heute sehr wenige echte Männer als Leiter, sondern kleine Jungs auf der Suche nach Bestätigung und ich nehme mich da manchmal nicht aus. Auf der anderen Seite: wo erhalten Leiter den Respekt und den Freiraum der Gnade, der ihnen von der Schrift her zusteht (doppelte Ehre..)? Wo ordnen sich Menschen noch freiwillig unter? Mann, wie viele verletzte Leiter sehe ich, denen allzu oft weh getan wurde…
@dikosss: Therapie? Selbstverleugnung. Dienen. Nicht zurückschlagen, wenn man geschlagen wird. Die Fresse halten, anstatt immer auf dem eigenen Recht zu pochen. Individualismus ist letztlich Stolz, ist Fleisch und gehört ans Kreuz… dazu: gute Verkündigung, die die Relevanz der Gemeinschaft verkündet. Gelebte, transparente Gemeinschaft. Wenn man offen voreinander sein kann, spürt man schnell, welche gigantische Kraft christliche Gemeinschaft hat… freu mich über mehr Ideen…
Das setzt Menschen nur unter Druck zu funktionieren und es der Umgebung Recht zu machen.
@wegbegleiter: Genau das müssen wir lehren. Nicht jeden Sonntag. Aber regelmäßig genug und klarmachen, dass das „Kreuz auf sich nehmen“ kein Türöffner für das Unglücklichsein ist, sondern dass darin die höchste Erfüllung besteht – selbst wenn es Leiden bedeuten kann…
hat ja nix mit Sadomaso zu tun, sondern mit unserer Verbundheit zu Jesus Christus.
Ich wurde gebeten mein Statement weiter oben etwas ausführlicher zu geben.
Eigentlich denke ich, dass ich das ausgedrückt habe, kurz und knapp, was ich sehe..
Aber andersrum.. brauch ich da auch nicht zurück zu halten mit dem wie ich das beobachte.
Das ganze Problem ist ein Problem der Menschheit, wenn sie keine Offenbarung über das Kreuz und dessen Bedeutung hat. Es ist die Kontrolle.
Menschen kontrollieren – und wer sagt, er tue das nicht, der ist einfach im Irrtum.
Nur das die einen es mehr, die anderen weniger tun.
Mose war der sanftmütigste Mann auf Erden.
Sanftmut im Sinne der Bibel bedeutet, dass wir verzicht üben, die Dinge zu steuern und zu lenken, wenn es nicht in unserer Macht steht, Dinge zu verändern.
Darum reagierte Gott der Herr sehr heftig auf Moses‘ Haltung, als er mit dem Stab den Felsen schlug und damit das Wasser hervorbrachte, damit das Volk ruhig und zufrieden ist. Er reagierte so stark, dass Er dem Mose entsagte, in das verheißene Land zu kommen!
Das hier ist genau das treffende Beispiel was wir alle tun.
Mose übernahm die Kontrolle, weil das Volk murrte.
Ist es nicht genau das, was Dich auch bewegt, Christof?
Aber es ist auch so, dass Du es nicht in der Hand hast.
Du musst auf Gott vertrauen und dafür musst Du konkret auf Kontrolle verzichten.
Gott versteht Deinen Missmut, aber Du sollst es den Leutz ja auch nicht Recht machen!
Andersrum sehe ich in den Beispielen die Du aufführst durchaus auch Hilferufe und nicht nur Egoismus.
Wenn es Menschen gibt die Egoistisch sind, dann haben sie Mangel.
Einen Mangel, den nur Gott ausfüllen kann, wobei wir aber mit dienen können.
So.. nun haben wir eine Pattsituation.
Leute, denen nicht Jesusgerecht begegnet wird, die dann widerum Druck machen..
Auf den Druck wird widerum mit Gegendruck und damit mit Kontrolle reagiert.
Druck und Kontrollversuche auf beiden Seiten.
Aber Gott stellt sich das anders vor…
Das ganze System wie Gemeinde gelebt wird, ist prinzipiell nicht auf dem Fels gegründet.
Es wird sich auf das verlassen was sichtbar ist und nicht auf das, was Gott dem Leib Jesu zugesagt hat.
Es ist ein Schrei auf allen Ebenen, und der Herr ruft jedem Einzelnen zu:
Leg Deine Werkzeuge nieder, um das zu bekommen was Du brauchst, und was Dir zusteht von Mir.
Das sagt Er uns allen. Weil wir im Prinzip – jedenfalls die Meisten von uns, immer noch wie Waisenkinder durch das Leben gehen und keinen Sinn und Gespür dafür haben, wie sehr der Herr uns sieht, ansieht und alles gegeben hat, was es braucht.
Hör auf zu fordern, Christof.
Fordere nicht und sag jetzt nicht, dass Du es nicht tust…
Du hast ein offenes Herz, und nur darauf hin schreibe ich das alles hier.
Ich weiß, ich habe auch nicht alle Antworten, aber das was mich der Herr gelehrt hat, möchte ich dann doch weiter geben.
In der Liebe Jesu verbunden
Stella
@Wegbegleiter
//Jemand sagt mir: mir geht es nicht gut und keiner kümmert sich um mich. Ich sage: kümmerst du dich denn um die, die sich um dich kümmern sollen? Wo investierst du , anstatt nur Forderungen zu stellen?//
Der barmherzige Samariter: Jesus investierte zuerst, damit der andere leben konnte und in einen Zustand gebracht wurde, aus dem er wieder geben konnte.
Aus deiner verkürzten Formulierung kann man leicht verstehen: ich muss erst was geben, damit ich Hilfe bekomme. Aber das ist das Problem der Kurzfassung bei begrenztem Platz. 😉
@Deborah: klar ist das alles verkürzt und mir ging es um eine Zuspitzung und nicht um eine umfassende Darstellung. Ein Problem des Individualismus ist es, in eine Konsumhaltung zu fallen: bedient mich. Leib Christi ist aber Dienstgemeinschaft und selbstverständlich sollen wir Verletzten nachgehen und uns kümmern. DAS ist aber Aufgabe des ganzen Leibes und nicht nur der „Profis“…;-)
@Stella: ich fordere nicht, ich beschreibe Sätze, die ich immer wieder höre (und die ich ja b.t.w. genauso aus meinem Herzen kenne, bin ja auch ein Kind dieser Zeit!).
Ansonsten: du bist sehr gemeindekritisch eingestellt, das merkt man. Mir geht es aber nicht um Kontrolle, sondern um Mündigkeit des Einzelnen im Leib. Erst wenn möglichst viele anfangen, selbstlos zu dienen, den anderen mehr als sich zu sehen, einander zu ermutigen und zu ermahnen, ihr Gaben im Leib einzubringen, können wir erahnen, wozu Gemeinschaft fähig ist. Dass das nie perfekt gelingt – meine Güte: wie gesagt, wir sind Hospital von Verletzten und nicht Museum von Heiligen. Da, wo es gelingt, hat es Kraft. Die Kontrolle liest du in die Zeilen hinein, ich sehe sie nicht. Selbstverleugnung und Dienst ist dagegen gut biblisch. Aber Paulus war vermutlich für viele heute auch jemand mit einem Kontrollproblem?
Danke für den Artikel. Ich durfte auch lernen und bin immer noch dabei, dass die (Gemeinde)Welt sich nicht um mich dreht, sondern dass Jesus für seine Gemeinde seine Braut gestorben ist. Ich mein,dass ist doch voll krass. Jesus stirbt für mich und ich reg mich über Personen auf, die nicht ganz so sind wie ich sie gerne haben möchte. Mein neuestes Hobby: Koheln auf dem Haupt sammeln In diesem Sinne einen schönen Tag noch
oh Kohlen soll das heißen
@ Wegbegleiter
Lieber Wegbegleiter,
natürlich müssen wir lernen, zu dienen, uns selbst zu verleugnen, die Fresse zu halten…
…aber in der Welt, nicht in der Gemeinde. In der Gemeinde soll einer dem anderen mit Ehrerbietung zuvorkommen. Es soll die Gande Gottes regieren, dann wird durch SEINE Gnade unser Egoismus schmelzen und wir werden durch den Heiligen Geist in Liebende verwandelt. Nur wenn ich meine Identität in der Liebe Gottes gefunden habe, kann ich wirklich aus reinen Motiven dienen, nur wenn ich weiß, dass ich ein Königskind bin, kann ich mich (freiwillig) zum Sklaven machen. Ich bin selber Leiter und seit zwanzig Jahren in der Firma Freikirche, 90% der Predigten, die ich gehört habe, waren fordernd. 8% waren belanglos und vielleicht 2% handelten von der Gnade und dem Kreuz, von der Erlösung und der Liebe Gottes. Veränderung geschieht aber nur durch Liebe und Gnade, wir haben 98% Individualismus und andere Sünden, weil wir nur noch zu 2% über die Liebe, die Gnade und das Kreuz predigen. Ich weiß, das ist natürlich total übertrieben, soll aber deutlich machen, woher ein großer Teil des Individualismus kommt.
Auf die Gesellschaft kann man das auch übertragen: Die rebellische 68er war zu einem großen Teil von Übel und man kann den durch sie entstandenen Individualsimus und die damit einhergehende sexuelle Unmoral natürlich nicht gutheißen – die 68er Bewegung war aber auch eine Reaktion auf „bürgerliche“ Heuchelei und Enge, diese Heuchelei und Enge hat, wie ein Katalysator, die Rebellion weiter angefacht und den Individualismus gefördert.
Geistlich ausgedrückt: Gesetzlichkeit und Pharisäertum machen die Sünde nur größer und stärker, Liebe und Gnade verändern das Wesen.
Die Antwort auf den zunehmenden Individualismus in der Church sind meiner Meinung nach liebende Leiter, gute Vorbilder, Freiheit für den Heiligen Geist…
Ganz ehrlich, daran mangelt es (beziehe mich da ein…).
Gute Gedanken, die mich zum richtigen Zeitpunkt erreichen – danke!
Grüßle, Sec
Amen! Ich hätte es selbst nicht besser formulieren können und kann das Posting komplett unterschreiben. Und ich füge noch hinzu: Christlicher Individualismus der von Dir beschriebenen Sorte ist einer der Hauptgründe für Machtkämpfe und Streit in Gemeinden und – glaube ich – auch einer der Gründe, warum zig junge Pastoren vor die Hunde gehen: Weil sie zwischen vielen sich selbst konkurrierenden Ansprüchen zerrieben werden. Und zuletzt: Christlicher Individualismus raubt den Gemeinden die Kraft. Wenn jeder sich an seinem eigenen kleinen Seil festhält, ist es schwer, miteinander am großen Strang zu ziehen, auf den es ankommt…
@Dirk: stimme dir vollkommen zu. Ich denke, wir müssen aber die biblische Balance halten und diese bietet ein Spannungsfeld aus Imperativ und Indikativ, aber mit einem klaren Prä des Indikativs! Ich sehe mich als Gnadenprediger, weil ich selbst so sehr davon lebe und sie erfahre, aber dann darf auch der Imperativ folgen und auch in diesem Blog kann nicht jeder post die Balance halten. Muss auch nicht. Insofern würde ich die Antwort von dir genauso unterschreiben und würde ergänzen: Respekt vor Strukturen, die Gott uns geschenkt hat zu unserer Entfaltung und Freiheit, in der Ehe, in der Gemeinde etc… Predigen der Chancen der Gemeinschaft, die immens sind und wir erleben sie hier immer wieder. Und b.t.w. – genau wie du: ich predige immer mir selbst. Es ist eben beides: eine Leitung muss Vorbild sein und Gnade (inklusive angemessener Hinterfragung an die Gemeinde und von der Gemeinde vorleben – aber sie benötigt auch strukturell und geistlich einen Raum der Gnade, damit sie sich entfalten kann und sich nicht dauernd beweisen muss (denn dann wäre es wieder ein Leistungsanspruch). Danke dir!
Super Post,
kann ich voll nachvollziehen. Stehen gerade selbst an dem Punkt, jeder möchte eine Gemeinde nach seinen Vorstellungen. Es wird immer davon gesprochen, dass Leute von Gemeinde verletzt werden. Könnte man nicht auch fragen, wie viele Leiter von Leuten verletzt werden. Die Flucht aus Gemeinde ist der einfache Weg, den aber meistens nur die gehen, die keine Verantwortung tragen oder tragen wollen. Beziehungsweise die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen.
Gemeinde hat immer etwas mit dem Leibgedanken zu tun und Gemeinde ist nun mal der Plan Gottes für sein Volk.
@ Wegbegleiter
Jau, hast Recht, das Wichtigste ist die Balance. Die kriegen wir als Deutsche oft so schwierig hin, wir neigen zum Extrem. Liebe und Gnade UND klare Strukturen und Leitung, das ist es wohl…
Wo speichere ich mir bloß diesen Post samt Kommentarfeed ab, dass er nicht unter „ferner liefen“ aus meinem Blickfeld gerät!
Wegbegleiter, du hast, wie du an den Reaktionen erkennst, eine überaus wichtige Sache angestoßen; ich hoffe, dass sie spürbare Folgen in unsern Gemeinden zeitigt. Sei gesegnet!
Zur Vorbemerkung:
Ich denke, am Verständnis von Unterordnung hängt es, ob es ein mißbräuchliches System mit der ständigen Botschaft: Füg dich! Füg dich! füg dich! wird, wo niemand auf Dauer existieren kann, oder..
ob Freiheit, Liebe und gegenseitiges Aufhelfen das Wachstum fördern.
@Deborah: genau, du sagst es. Paulus redet eben von gegenseitiger Unterordnung. Aber auch von manch einseitiger Unterordnung, aber eben nicht unter eine diskriminierende Struktur, sondern unter eine liebevolle Leitung. Und auch die Leitung muss sich fragen: wo ordnen wir uns unter und lassen uns hinterfragen? Viel hängt hier an Vertrauen oder Misstrauen…
@ Dirk: die Balance ist für mich in diesem Wort enthalten:
Ri 5, 2 Weil Führer führten in Israel, weil freiwillig sich stellte das Volk, dankt dem HERRN!
Ein Leiter, der seinen Standort der ihm von Gott verliehenen Autorität eingenommen hat und nicht darum kämpft die Autorität zu erhalten, die ihm schon längst gehört, hat Macht nicht nötig. Die Atmosphäre um ihn ist souverän, auch in seinen Unfertigkeiten.
@wegbegleiter:
dein Nick gefällt mir hier im aktuellen Zusammenhang besonders gut: ein Leiter als Wegbegleiter auf unserem Weg zu Gott in die Ewigkeit.
Ein Wegbegleiter geht…
…nicht vor mir, dass ich seinem Weg mit Jesus folge, sondern meinen Weg mit Jesus gehe
…nicht hinter mir, treibend und fordernd oder alleinlassend, bis ihm was nicht passt und dann aber….
sondern neben mir.
Der wesentlichste Gesichtspunkt bei dem Wort Unterordnung ist die Beifügung in der Schrift: In Christus. Also nur dort, wo die verliehene Autorität hinreicht. Der Leiter hat sich zu fragen: ist mir das von Christus hier gestattet und abgedeckt. Das Gemeindemitglied hat sich zu fragen: ist mein Ja dazu von Christus gewollt oder stelle ich gerade hier den Leiter über Christus, obwohl mir der Heilige Geist und die Schrift kein Ja gibt. So dienen beide einander verantwortlich und sind sich Schutz.
Eine konstantinische Schwierigkeit in der Gemeinde:
wo der Pastor ist, da ist vorne und oben 😉
..dann kommt eine unsichtbare Barriere
..dann kommen die Laien.
Dieses „Ding“ fördert auch eine Konsumhaltung. Dieses „Ding“ kann man im Gebet knacken 😉
//Allerdings haben wir heute sehr wenige echte Männer als Leiter, sondern kleine Jungs auf der Suche nach Bestätigung und ich nehme mich da manchmal nicht aus. Auf der anderen Seite: wo erhalten Leiter den Respekt und den Freiraum der Gnade, der ihnen von der Schrift her zusteht (doppelte Ehre..)? Wo ordnen sich Menschen noch freiwillig unter? Mann, wie viele verletzte Leiter sehe ich, denen allzu oft weh getan wurde…//
Da sag ich auch noch mal was dazu: die Gemeinde ist nicht dazu da, das zu ersetzen oder auszufüllen, was der kleine Junge im Leiter für einen Mangel erlitten hat.
Grundsätzlich ist es so, dass den Eltern die Erzeugung des Mangels vergeben werden muss (logisches muss) und sie aus der Forderung der Erstattung entlassen werden müssen, denn das kann man nicht nachholen. Ebenso muss man sich selber aus der Forderung nach Erstattung (Nachholen) entlassen, denn sonst benutzt man sogenannte Platzhalterpersonen dafür: in diesem Fall gemeindebezogen würde sich der Hirte von den Schafen nähren. Geht gerade mal gar nicht!!! Den Mangel kann allein Gott erstatten und ER tut es, wenn man Ihn darum bittet und glaubt, dass man sofort empfangen hat. Dann ist das Egoismusloch zu und die Agape-Liebe hat Freiraum.
Shalom 🙂
@Deborah: hey, ich kann alles einfach nur unterschreiben – du beschreibst das in einer sehr konkreten und äußerst treffenden Sprache – wann fängst du an zu bloggen? Wegbegleiter – ja, genau so verstehe ich mich und so leben wir hier auch Gemeinde. Zusammen unterwegs. Autorität ist eh in christlichen Gemeinden einen verliehene. Menschliche Autorität, die auf Kraft oder Charisma (nicht geistlichem) beruht, trägt nicht weit. Es ist immer der Christus in mir, der mich vollmächtig machen kann – nicht und niemals ich!
Kleine Jungs (oder Mädchen – gibt ja auch Pastorinnen…;-): perfekt beschrieben. Kleine Ergänzung: es tut gut Seelsorger zu haben, die zeitweise eine Vaterfunktion übernehmen (und sich dann wieder heraus ziehen). Habe ich als heilsam erlebt. Muss aber klar definiert sein.
Sehr guter Text. Ging mir oft nicht unähnlich, und ich habe auch genau meine Gedanken (und die passenden richtigen Erklärungen/Gründe) dazu schon in diversen Texten gelesen/predigten gehört. Gute Lektüre dazu bietet z.B. auch John Eldredge in „Der ungezähmte Mann“ (sowieso super! – sollte jeder lesen) und C.S. Lewis in „Dienstanweisung an einen Unterteufel“.
Man versucht es sich doch immer am einfachsten zu machen und es sollte ja alles schön genau so passen wie man es sich selbst vorstellt. Und aus Kleinigkeiten wird dann eine Krise herauf beschworen. Und eigentlich ist es ja vernünftig sich nicht mit anderen deswegen rum zu ärgern. Eben nicht. Nur an anderen kann man wachsen.
Ich habe diesen Text mit gemischten Gefühlen gelesen. Einerseits war da Erleichterung, so nach dem Motto: „Endlich spricht es jemand aus.“ Auf der anderen Seite die brennende Frage nach dem Gegengift für den Individualismus, auch im frommen Gewand. Diese Antwort scheint so einfach zu sein: wir sollen uns einander unterordnen, vergeben, liebevoll leiten. Es ist toll, das sage ich ohne Ironie. Doch warum funktioniert es nicht, wenn doch so viele diesen guten Willen haben? Oder zumindest alle, die hier mitschreiben. Warum kommt es vor, dass in der liebevollen Atmosphäre viele Gemeinden es Menschen gibt, die das Gefühl haben, daran zu ersticken? Vielleicht sind es die bösen Individuallisten, vielleicht aber wünschen sie sich einfach nur Respekt für ihre Individualität und wollen nicht in den liebevollen Einheitsbrei ertrinken.
Hinter diesen Worten steckt eine Geschichte. Ich komme aus eine Diasporakirche. Die Gleichgesinnten waren dort selten, viel Zeit und lange Wege waren nötig, um die anderen zu treffen. Vielleicht war diese Aufwand einer der Gründe, den Anderen, jeden Einzelnen ganz besonders zu schätzen (ist meine Vermutung im Rückblick) und in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit, sehr intensiv Beziehung zu leben. Damals stellte ich mir eine Ortsgemeinde wie eine Art Paradies vor: all die lieben Menschen in gut erreichbarer Nähe zu haben. Es war eine Ernüchterung festzustellen, dass das Gemeindeleben in der Ortsgemeinde nur eine Option unter vielen ist. Man teilt ein Raum, aber in diesem Raum ist jeder für sich allein, egal wie fröhlich es zugehen mag.
Mein Abschied von der Gemeinde begann, als ich in einer Predigt hörte, dass jeder sich darum kümmern muss, sich zu vergewissern, dass er von Gott bedingungslos geliebt wird. Bis dahin dachte ich, dass es unsere Würde ist, dies einander zuzusprechen und spüren zu lassen, im gegenseitigen Respekt. Noch weitere 10 Monate kämpfte ich darum, in der Gemeinde bleiben zu wollen und habe so manches Gespräch gesucht. Vergeblich.
Inzwischen bin ich wieder mit Menschen unterwegs, die wahrscheinlich – wie ich – ewige Pilger bleiben werden.
@gwenhwyr: danke für deine Offenheit. Nein, ich wünsche mir auch keinen liebevollen Einheitsbrei. Eklig. Und so erlebe ich das auch nicht. Je mehr jeder in seine geistliche Reife hinein wächst und dieses gleichzeitig einbringt in das Ganze, desto bunter und vielfältiger wird Gemeinde. Aber auf der anderen Seite auch liebevoller und direkter an manchen Punkten. Reibung entsteht und die kann sehr heilsam sein und ist genau so von Gott gewollt. So ist eine Gemeinde immer Mischung aus Eigenverantwortung vor Gott und Verantwortung für das Ganze und füreinander. Eigenverantwortung und Ausleben der sehr individuellen Prägungen und Gaben ist aber eben nicht Individualismus, sondern schlicht der Respekt davor, was Gott ganz persönlich in jeden hinein gelegt hat. Da würde ich eben den Unterschied machen. Leibdenken ohne Betonung des einzelnen Weges führt in den Einheitsbrei. Bäh! Die Betonung des einzelnen Weges ohne Leibdenken und Dienst aneinander führt in den Individualismus. Auch bäh, denn so ist es nicht von Gott gewollt. Beides zusammen in einem Spannungsfeld ist toll – und so erlebe ich das auch, immer mehr.
Vielleicht hilft eine Präzisierung: Gott möchte Individualität, aber keinen Individualismus. Gott möchte den Leib, in dem man einander ermutigt, ermahnt und dient, aber er möchte keinen Gruppenzwang mit Gleichschaltung.
Zur Predigt, die du erwähnst: da wäre ich auch laufen gegangen…;-))
Segen dir!
Das ist doch ein (im Wortsinn) Teufelskreis: Umso weniger Liebe und Miteinander da ist, umso weniger gedient wird, umso mehr versucht jeder seinen Mangel selbst zu beheben. Aber umso mehr dreht sich jeder dann um sich selbst und umso kleiner wird Gemeinschaft, Liebe und Dienst.
Jesus hat den Teufelskreis durchbrochen: Er kam um zu dienen, sich zu kümmern. In diese Fußstapfen müssen wir treten. Das ist für mich das Evangelium: Du brauchst dich nicht um dich zu Sorgen, weil Gott dich versorgt.
Vielleicht kommt die ganze Dienstsache ja auch immer als Druck rüber, weil wir vergessen die Leute vorher zu füllen (zu Ermutigen, Aufzubauen, im Glauben zu bestärken, ihnen zu dienen, sie zu lieben…), bevor wir sie fordern. Also erst zeigen, wie’s geht und dann nachmachen lassen.
@Gwen
Dein Satz mit der Diasporakirche hat mich ganz besonders angesprochen. Diese (sicher unbewusste) Schlußfolgerung ist total verständlich.
Segen dir.
shasta-cor
Ich weiß nicht, ob meine Gedanken wirklich so hier her passen und das Thema treffen. Doch das ging mir alles durch den Sinn … als ich mich mit der Frage beschäftigte, wie ich mir Gemeinde vorstelle und wie sie (im Gegensatz zum IST-Zustand) eigentlich sein sollte. Dabei entsprangen folgende Gedanken meiner Tastatur 😉 …
Es geht doch nicht darum, andere dahingehend zu verändern, dass diese Jesus und den Geschwistern (der Gemeinde) mehr dienen und lieben. Das ist der falsche Ansatz!
Es geht vielmehr darum meine Weggefährten so zu unterstützen und ihnen eine Hilfe zu sein, die Liebe Gottes (Vater, Jesus, Heiliger Geist) so zu erfahren, dass SEINE Liebe das Leben des anderen verändert! Den anderen zu helfen in die lebendige Beziehung mit Gott noch mehr hineinzuwachsen, d.h. den lebendigen Gott selbst mehr und besser kennenzulernen. Und das geht niemals dadurch, dass ich am Verhalten des anderen ansetze und ihnen zeige, wo sie sich noch zu verändern haben.
Wenn ich anfange, anderen einen Spiegel vorzuhalten, wo sie nicht oder zu wenig dienen und lieben (und dadurch ein schlechtes Gewissen in ihnen fördere), dann setzte ich am falschen Punkt an!
Doch ich kann die (unverdiente) Liebe, die der Vater mir geschenkt hat, an andere weitergeben, ohne dass ich Bedingungen daran knüpfe. SEINE Liebe (nicht ich) wird Veränderung in das Leben von Menschen bringen!
Dann brauche ich mich nicht mehr aufzuregen über den Mangel an Liebe und Einander-Dienen in der Gemeinde. Dann kann ich selbst beginnen den Samen, den Gott in mein Herz gelegt, an andere weiterzugeben … SEINE Liebe, die er in MEIN Herz ausgegossen hat und die er mir Tag für Tag neu zeigt und offenbart. Ich brauche nicht mehr den anderen vorzuhalten: „Du liebst zu wenig!“ Ich beginne einfach den zu lieben, der selbst noch nicht dazu in der Lage ist, weil er die Liebe Gottes noch zu wenig erfahren hat.
ICH will nicht mehr über den Mangel der Gemeinde reden und mit dem Finger (oder mit Worten) auf Geschwister zeigen, dass sie zu wenig lieben/dienen.
ICH will nicht mehr versuchen, das Verhalten meiner Geschwister zu verändern und ihnen vorhalten: „Ihr liebt zu wenig!“
ICH will nicht mehr in Predigten versuchen, andere zu motivieren endlich die alten Verhaltensmuster abzulegen und endlich einander zu lieben.
ICH will nicht mehr versuchen, Gemeinde und Geschwister mit meinen Worten zu verändern!
ICH will nicht mehr „Du musst“ und „Du sollst“ sagen …
ICH will endlich anfangen, in der Liebe meines Papas zu leben!
ICH will endlich anfangen, meine Geschwister (die Gemeinde) und meinen Nächsten zu lieben, weil ich selbst geliebt bin und ich nicht anders kann, weil Papas Liebe mein Herz erfüllt.
So wie mein Papa: Er hat mich ZUERST geliebt!
Ich bin unvollkommen!
Ich bin vollkommen geliebt!
Ich mache mich auf den Weg!
Ich will Weggefährte sein!
Ich bin unterwegs …
@unterwegs: danke für deine Gedanken – sie sind die eine und vollkommen richtige Seite der Medaille! Wie auch schon oben in einem anderen Kommentar diskutiert gehört zum Indikativ und zum Vorleben eben auch der gute Imperativ (der aber dem Indikativ FOLGT!). Paulus hat in seinen Predigten und Briefen eben auch Missstände beim Namen genannt, ich denke, es ist wichtig, zu sensibilisieren für Prägungen, die wir mit uns tragen und es ist ebenso wichtig, Fehlverhalten anzusprechen. Das ist zumindest die deutliche Aufforderung der Bibel an uns. Noch einmal: ich rede nicht aus Frust über meine Gemeinde, bei uns klappt das eigentlich ziemlich gut mit dem zusammen leben und im konkreten Fall Missstände ansprechen.
Ich rede auch nicht nur an Mitglieder der Gemeinde, auch das habe ich erwähnt – ich predige mir selbst! Ich meine: alle sind gefordert, sich zu überprüfen und, wie Paulus sagt, die Maßstäbe dieser Welt zu überprüfen und das Denken anzupassen an biblische Maßstäbe. Darauf, sagt Paulus ruht die Verheißung, dass wir durch Gottes Gnade in sein Bild verwandelt werden. Unsere Aufgabe ist das Prüfen und das Ernstnehmen biblischer Maßstäbe. Ich unterschreibe also alles, was du gesagt hast – ergänze aber eben die Gegenseite dieses Spannungsfeldes. Paulus macht es nicht anders – er betont zu Beginn der Briefe, wie lieb er die Gemeinde hat und dann sagt er klar, was schief läuft. Beides darf und muss zusammen kommen. Segen dir!
Ja! Und ich spreche auch mit meiner Brille und meinem Erkenntnis- und Erfahrungsschatz. Und dort, wo ich eben gerade bin, hat auch etwas mit meinem Erleben von Gemeinde zu tun … mit meiner Geschichte.
Ich wollte auch niemanden hier angreifen, sondern ein wenig von meiner Reise erzählen und wo ich gerade stehe …
Gegen klare Worte ist nichts einzuwenden! Die sind in einer Freundschaft (dort wo ich dem andern Freund bin) sicher auch möglich. Jesus sagt ja auch, dass er uns nun Freunde (und nicht mehr Sklaven) nennt … und doch findet er oft auch sehr deutliche Worte!
Hi unterwegs – ich fühle mich gar nicht angegriffen…;-D. Klar: wir alle sehen durch unsere Geschichte hindurch und das macht nur deutlich: es ist ein stetes Ausbalancieren in biblischen Spannungsfeldern, aber genau das finde ich so reizvoll. Ich freue mich und bin dankbar, dass du von deiner Reise erzählt hast! Jede Gemeinde wird wohl immer wieder in eine Richtung Mängel entwickeln, entweder in Richtung Liebe oder in Richtung Wahrheit. Beide dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, bzw: ich habe es als besonders liebevoll von einem Freund und Bruder in der Gemeinde gefunden, mich auf einen Missstand in meinem Leben deutlich hinzuweisen….;-)
*seufz* „Ich will dem Herrn dienen – aber bitte in leitender Stellung“… die Haltung findet man nur zu häufig, und gerade der Stand der Hirten und Pastoren ist davon nicht frei. Ein (damals noch nicht) Kollege sagte mal: „Pastoren sind wie Straßenwegweiser: sie zeigen den Weg, den sie nicht gehen werden.“ Und wir sind ja in der Zwickmühle, weil wir einerseits Hirten der uns anvertrauten Herde sind und ihr also den Weg anweisen (!) sollen, andererseits sind wir aber auch wie die anderen Jesu Schäflein und er der einzig wahre Hirte. Wir sind allzumal Sünder…
Die Spannung, die ein Gemeindeglied mir neulich aufzeigte: „Als Sie von dem Armen vor der Tür gesprochen haben, habe ich gedacht, jetzt sagt er uns endlich, was wir mit J.-L. machen sollen. Und dann kam wieder nichts.“ Aber ich hab doch auch keine Lösung, was diesem armen Menschen (alkoholkrank, obdachlos, von allen Seiten wirklich ‚fertig‘) noch helfen kann… was mir richtig scheint, eine geschlossene Entziehungsklinik, verweigert er kategorisch…
Ich kann, meine ich, nur versuchen, die Sinne zu schärfen, in Frage stellen, was offensichtlich schief läuft, und vor allem in meinem eigenen Leben zusehen, die Balance zu halten, wie Jesus es sagt, zwischen der Selbstliebe und der Nächstenliebe.
Es gibt richtig und falsch verstandenen Individualismus. Allerdings ist im Protestantismus meiner Kenntnis nach eine innere Differenzierung in verschiedene Glaubensauffassungen, Interpretationen (von Bibel etc.) immanent angelegt. Der Katholizismus konnte sich wegen seiner doppelten Strategie, Einheit in der Anerkennung der Autorität des Papstes, dafür Vielfalt der Gläubigen in weltlichen Dingen, bisher als relativ stabile Institution erhalten.