God bless America?

„God bless America!“ Ich bekomme bei diesem Ausruf immer Bauchschmerzen… geht das? Eine Nation segnen? Hm. Macht Gott das? Ein paar Gedanken dazu.

Der Nationengedanke und die Nation als Objekt des Segens Gottes finden wir zu 99% im Alten Testament beim Volk Israel. Dieses Volk wird gesegnet und soll ein Segen sein. Warum aber? Um diesen Gedanken der nationalen Beschränkung gleich wieder zu sprengen und auszuweiten auf alle Menschen. Die Welt soll Gott erkennen an dessen Zuwendung zu diesem kleinen Volk. Es geht um alles. Israel soll ein Beispiel sein. Schon im AT, schon bei Mose wird weltweit gedacht.

Erst Recht im Neuen Testament. Aus dem Volk des Segens wird der Sohn des Segens, der zwar ebenso zuerst für das Volk Israel kommt, aber schon zu Lebzeiten diese Grenzen sprengt (und heilt und Speisungswunder vollzieht im Heidenland). Und erst Recht nach Ostern, nach Kreuz und Auferstehung gilt: Der Vorhang ist zerrissen – der Weg zu Gott ist frei für alle Menschen. Pfingsten setzt noch einen drauf durch das Hörwunder – mit dem quasi die Sprachenverwirrung Babels im Alten Testament wieder rückgängig gemacht wird. Ja – es wird weiter Völker und Nationen geben und das ist in Ordnung so – aber in Christus, unter dem Kreuz ist da kein Unterschied mehr.

Kann man also sein Land segnen? Segnet Gott Nationen?

Auch hier kommt es wohl auf die innere Haltung an. Denke ich an einen exklusiven Segen im Sinne von: Wir sind besonders und quasi privilegiert, ein besonders gesegnetes Volk – dann ist das imho fast Blasphemie. Meine ich das abstrakte Staatsgebilde – dann fände ich diesen Segen nicht weniger seltsam als das Segnen einer Firma….

Auf die Spur bringt uns vielleicht der Haussegen. Gott segne dieses Haus! Damit sind ja nicht die Backsteine gemeint, sondern die Menschen, die in ihm wohnen. Gott segne die Menschen unseres Landes. So könnte man segnen. Ja. Und trotzdem wirkt das seltsam. Warum? Weil es wie Gießkanne rüberkommt. Man könnte ja fast beten: Gott segne die Menschen dieses Planeten und das wäre genauso seltsam wie das Gebet um Weltfrieden.

Segnen scheint „stimmiger“ zu werden, je klarer und konkreter das Zielobjekt des Segens (was ja bei Fürbitte auch so ist). Je größer und diffuser die Menschengruppe, desto seltsamer. „Herr, segne unsere Regierung mit Weisheit und Durchhaltevermögen!“ – ein absolut stimmiger Segen (wenn er aus einem wirklich wertschätzenden Herzen gesprochen ist und nicht nach der Masche: „Die sind ja alle so scheiße und machen Dinge, die ich nicht mag, die brauchen dringend deine Weisheit“). „Herr, segne alle Deutschen“ – das kann nur stimmig klingen in den Ohren dessen, der glaubt, dass die deutsche Nation etwas Besonderes sei…

Nun: Gott segnet. Und er ist nicht verfügbar. Deswegen sagen wir „Gott, segne…“ oder aber „Ich segne… im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes…“. Wobei letztere Variante eine größere Verantwortung darstellt, weil wir etwas in Vollmacht aussprechen, im Namen von, also im Auftrag, im Charakter, im Wesen von Jesus Christus. Ob ein solcher Segen stimmig ist, das muss der oder die Segnende selbst entscheiden.

Eins aber ist klar: Segnen ist kein Abgeben von Verantwortung. So wie Fürbitte vor allem auch uns ins Boot holen soll zu einer Kooperation mit Gott (anstatt das Boot Gott zu überlassen), so heißt ja Segen im Grundtext eu-logein (εὐλογεῖν) – wörtlich: gut reden. Und das ist durchaus meine Verantwortung! Gut zu reden. Natürlich im Namen Gottes, als Segen, also als Zuspruch seiner besonderen Gegenwart. Aber eben auch sonst. Und da sind wir wieder bei der Regierung: Wir können nicht am Stammtisch Minister Lauterbach an den Galgen wünschen und in der Kirche unsere Regierung segnen. Das funktioniert nicht und ist ein geradezu perverser religiöser Dualismus. Menschen, Gruppen von Menschen zu segnen, das bedeutet auch positiv und wertschätzend und verstehend von ihnen zu reden.

Und ja – auch von den Feinden, den das ist ja eine Spezialität des Neuen Testaments: Das Segnen der Feinde. Das impliziert auch ein gutes, wenn das nicht geht und Heuchelei wäre, zumindest faires und sachliches Reden über die Feinde, der Verzicht auf Flüche und Verwünschungen und Zuschreibungen von Eigenschaften. Und da gibt es glaube ich im Zeitalter der sozialen Medien noch eine Menge zu lernen für Christen…

In diesem Sinne: Jeder soll und darf segnen und gutes reden. Nationen segnen? Zumindest nicht mein cup of tea…