Frage: Alt bzw. reif genug zum Lesen der Bibel?

Aus der Kategorie Serendipität – etwas entdecken im Vorbeigehen. Auf der Suche nach einer hebräischen Bibel für meinen iPod touch auf folgende app gestoßen. Echt prima, aber man beachte: Mindestalter 17 Jahre wegen erotischer Anspielungen. Mmhpf. Nun ist mir bekannt, dass es im Judentum erst reiferen Männern erlaubt war, die gesamte Bibel zu lesen. Von wegen Hoheslied Salomos und so. Dass das heute noch gilt…

Aber es stellte sich mir die Frage: wann ist man denn alt genug, die Bibel zu lesen? Nun, mit dem Alter hat das nichts zu tun, sondern eher mit der Reife. Ich habe ganz einfache und ganz junge Leute erlebt, die ein gutes und geistliches Verständnis der Bibel hatten und sehr langgediente Christen, die meines Erachtens seltsam an die Schrift heran gingen, am Alter hängt es also nicht. Auch nicht am Abitur. Vielmehr am Geist und an der Bereitschaft diesen über die eigenen Brillen und Prägungen hinweg sprechen zu lassen. Folgende Dinge halte ich für eine Hermeneutik für wichtig (ohne Anspruch auf Vollständigkeit…;-):

  • wir lesen immer subjektiv und historisch kritisch, einfach, weil wir eine Geschichte haben und in einer Geschichte leben und lesen. Es gibt keine objektive Bibellese, nur Gottes Geist kann uns das Wesentliche aufschließen. Sich über die eigene Brille bewusst zu werden und diese kritisch zu hinterfragen, ist ein wichtiger Reifeschritt.
  • Christus ist das Zentrum. Von ihm her muss alles ausgelegt werden und notfalls auch relativiert werden. In ihm ist Gottes Plan zur Vollendung gekommen und an ihm vorbei geht nix.
  • Schrift lesen geschieht im Geist durch Gottes Geist. Wer intellektuellen oder gefühlsmäßige Bereicherung sucht, der wird auf Dauer leer laufen, denn echte Anbetung und echte Begegnung findet im Geist statt. Dabei dienen (!) Verstand, Gefühle und Wille diesen, sind aber nicht das Zentrum und der Kitzel zum Lesen. Sonst stünde Gottes Wort in Konkurrenz mit anderen seelischen Kitzlern wie Fernsehen, Medien etc… Power bekommt Gottes Wort, wenn wir ihm im Geist begegnen. Von dort her wird alles andere verändert.
  • Essentiell zur Hermeneutik ist der Aspekt der Gemeinschaft. Je einiger man sich in der Gemeinschaft über Theologie, Ekklesiologie etc. ist, desto wichtiger ist es, sich andere Stimmen anzuhören. Denn die Schwarmintelligenz einer Gemeinde/Gemeinschaft ist der Wille Gottes für den geistlichen Prozess.
  • Gott ist Gott, nicht die Bibel.
  • Die Bibel ist nicht vom Himmel herab gefallen wie der Koran oder das Buch Mormon, sondern aus den Beziehungen Gottes mit Menschen heraus entstanden. Trotzdem stellt sich Gott zu diesem Wort, das ganz sein Wort in Menschenwort ist. Dieses Spannungsfeld gilt es aufrechtzuerhalten und nicht einem fundamentalistischen oder liberalen Irrtum zu unterliegen, indem man es einseitig auflöst. Gott schreibt Geschichte – durch Menschen hindurch und nicht an ihnen vorbei… wie gut!!!! Denn so muss ich kein perfekter Leiter oder was auch immer im Reich Gottes sein, um meine Berufung zu beweisen, sondern Gott schreibt Geschichte durch fehlerhafte und kantige Menschen, die er dennoch erwählt! Gnade regiert über Leistung!

Das fällt mir gerade so ein. Stand der Dinge… insofern: nein, man kann gar nicht früh genug anfangen, die Bibel zu lesen. Aber es hilft, ein paar Dinge zu beachten, um sie wirklich ernst zu nehmen. Segen euch allen in den nächsten Tagen, wenn ihr die Bibel aufschlagt!

Zum Abschluss Mark Twain: „Mich irritieren nicht die Dinge, die ich in der Bibel nicht verstehe, sondern die, die ich verstehe….“

11 Kommentare

  1. Wenn jemand unter 17 Jahren das Hoheslied Salomons liest, dann kommt er entweder nicht darauf um was es geht – oder er weiss es eben. Aber soooo schlimm finde ich die Bibel auch nicht. (Ja, ich habe sie schon gelesen bevor ich 17 war 😉 )

  2. @Bibel: ähnliche Thesen vertritt auch Richard Rohr. Er sieht die Bibel u.a. als Koan, der nicht absolut (weil widersprüchlich) zu setzen ist. Wie die Katholiken ihre Tradition „anbeten“, so halten die Protestanten die Bibel hoch. Das kann dann ins Auge gehen, wenn sie immer absoluter gesetzt wird. Sola scriptura als Grundlage ist m.E. akzeptabel, aber der Blick sollte immer „gen Himmel“ bleiben. Dann ist auch die Reife zur Aufnahme der Inhalte gesichert.

  3. Guter Artikel, allerdings: Es gibt vielleicht doch ein „zu jung“, so mit acht oder neun Jahren. Ich hielt in jenem Alter alles was ich mit wachsender Begeisterung las, ob es nun Karl May war oder Ernest Hemmingway oder die Bibel, für hundertprozentige Tatsachenberichte, weil es ja gedruckt auf Papier stand. In der Bibel stieß ich auf recht grauenhafte Abschlachtereien und fiese Tricks noch und noch, was mein kindliches Gottesbild damals geprägt hat. Die Sache mit dem Sex war andererseits nicht interessant in jenem Alter. Das kam dann später…

  4. Aus welchem Jahrhundert stammt denn diese Warnung? Inzwischen gibt es doch längst Bibelübertragungen, die dem Urtext recht nahe kommen, zum Beispiel in Hesekiel 15. Die Lektüre des Hohelied bereitet mir nur insofern Schwierigkeiten, wenn ich das, was ich lese, in seiner Gänze auf die Beziehung zwischen Jesus und seiner Gemeinde bezw. mir persönlich , interpretieren soll. Ich kann das schlicht nicht glauben, dass es so gemeint war.

  5. @peccatoni: jaa, das Zitat vom Richard kenne ich auch gut und finde es erhellend. Es instrumentalisiert mir aber die Bibel zu sehr, denn diese bietet ja nicht nur ein Koan (also ein spirituelles Hilfsmittel durch den Aufbau von vermeintlichen Widersprüchlichkeiten), sondern schlicht Informationen, die wir dringend benötigen – über unsere Identität, Rettung, etc… das Koan würde mir das ganze zu sehr ins Mystische ziehen – wobei die Bibel diese Komponenten durchaus hat!
    @Günter: Jo, da hastu Recht. Wobei ich begeistert in meiner Bibel mit den vielen heftigen Zeichnungen geblättert habe (Gustave Doré halt). Kinder können mit sowas gut umgehen, deswegen sind auch Grimms Märchen meines Erachtens kein Problem (so ab 5 oder 6 Jahren). Meine Sohnemann findet das zumindest klasse und auch gerecht – das Problem wird eher sein (man bedenke den Herrn der Fliegen), den liebenden Vatergott zu verankern, weil der vermeintlich nicht so spannend rüber kommt für kleine Jungs…;-). Wichtiges Thema – auch in Bezug auf Kindergottesdienste mit Flanellbildern und einem sehr weichen Gottesbild…
    @Ruth: ich würde das Hohelied auch nicht primär so vergeistlicht verstehen, sondern eher als Feier der Liebe und der Sexualität.

  6. „Nun ist mir bekannt, dass es im Judentum erst reiferen Männern erlaubt war, die gesamte Bibel zu lesen“
    Immer wieder interessant, was in christlichen Kreisen an Legenden und Fehlwahrnehmungen über das Judentum kursiert. Nehmen wir mal gleich das Hohelied als Beispiel. Das gehört zum festen Bestandteil dessen, was an Pessach im Synagogeng-ttesdienst gelesen wird.
    Was jedoch nur für Menschen im reiferen Alter vorgesehen ist, sind bestimmte mystische Schriften (Kabbala), und zwar weil dann davon auszugehen ist, daß jemand seinen Platz im Leben gefunden hat (Beruf / Familie).

  7. @Juebe: Betonung liegt auf „war“. Soweit ich weiß (ich habe es mal in einem exegetischen Buch von deGruyter gelesen) war das ein rabbinisches Gesetz des Altertums. Von der aktuellen Zeit kenne ich die Regelung nicht – und ich denke, auf diese beziehst du dich. Dass ein Auszug des Hoheliedes im Pessach gelesen wird, ist mir bekannt, das sagt aber noch nichts über die eigene Lektüre des gesamten Buches aus. Vielleicht weisst du da mehr?!

  8. Soweit ich weiß, war das Schulwesen und die Alphabethisierung auch weniger gebildeter Schichten ein Bestreben der Reformation, damit jeder Mensch die Bibel lesen kann. Will sagen: Die Bibel ist historisch gesehen das Buch, wegen dem wir lesen gelernt haben. Entsprechend würde ich sagen, Mitte der ersten Klasse sollte passen.
    Dass man bei jedem Lesen mehr versteht, auch noch mit Mitte 30 (über höheres Alter kann ich aus persönlicher Erfahrung noch nichts sagen), macht doch den Reiz aus.

  9. Auch wenn die Betonung auf „war“ liegt, dann wird eine falsche Grundaussage davon auch nicht richtig. Im traditionellen Judentum ist Lernen vorwiegend eine Aktivität, die in Gemeinschaft stattfindet (Lehrhaus, Lerngruppen). Da jüdische Hermeneutik davon ausgeht, daß man in jeder Generation zu neuen Auslegungen kommt und es dazu auch wichtig ist, unterschiedliche Bibeltexte miteinander in Beziehung zu setzen (Intertextualität), würde es keinen Sinn machen, bestimmte Teile / Texte mit einem Verbot / Tabu zu belegen.

    Ich vermute mal folgenden Hintergrund, wie es zu dieser Aussage gekommen sein kann. Jemand hört, daß im orthodoxen Judentum nur erwachsene Männer zur Torah (gemeint ist die im Synagogeng-ttesdienst stattfindende öffentliche Torahlesung) aufgerufen werden. Das wird dann verkürzt auf: „Juden dürfen erst ab einem bestimmten Alter die ganze Bibel lesen“ und scheint vorstellbar, weil es in der Geschichte des Christentums ja durchaus Zeiten gab, in denen nicht alle Gläubigen Zugang zu den Schriften hatten und das auch nicht angestrebt wurde.

    Interessant finde ich, daß jüdische Schriftauslegungspraxis in den letzten Jahren zunehmend auf Interesse in ganz unterschiedlichen Kreisen stößt und Bibliolog-Kurse sich immer größerer Beliebtheit erfreuen.

  10. Hallo Wegbegleiter,

    „Denn die Schwarmintelligenz einer Gemeinde/Gemeinschaft ist der Wille Gottes für den geistlichen Prozess.“
    Könntest Du das erklären? Insbesondere auch in Bezug auf den Zusammenhang, in den Du diesen Satz gestellt hast. Danke und schön, dass Du wieder schreibst. Viele Deiner Beiträge waren sehr wertvoll für mich.

  11. Hi Doris. Schwarmintelligenz meint ja nichts anderes als ein neuer Begriff für den biblischen Leibgedanken. Gemeinde verstärkt sich selbst und mündet bestenfalls in einen gemeinsamen Erkenntnisprozess. Bei der Hermeneutik ist es nicht anders und vielleicht viel zu wenig entdeckt. Ich erlebe das in Hauskreisen, dass die verschiedenen Persönlichkeiten sich gegenseitig ergänzen, korrigieren, bereichern in ihrer Sichtweise der Schrift. Je homogener der Leib ist, sprich: desto mehr eine Gemeinde auf Linientreue achtet (nur eine theologische Meinung zählt), desto langweiliger wird dieser Prozess. Kein Mensch liest ja neutral – jeder hat seine Geschichte und das ist auch gut so. Deswegen benötigen wir aber das Korrektiv und die Ergänzung. Das NT macht das auch am Beispiel der Prophetie klar. Diese soll nicht einfach in den Raum gestellt, sondern geprüft werden…

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