Keine Lust zu beten – die Predigt aus dem MDR Rundfunkgottesdienst

Normalerweise formuliere ich Predigten nicht aus – aber in Rundfunkgottesdiensten herrscht eine andere Vorschrift – und deswegen habe ich sie komplett vorliegen und stelle sie auch gerne zum Nachlesen zur Verfügung – viel Freude damit!

„Mama, sind wir bald da?“ DIE Frage auf jeder Urlaubsreise mit kleinen Kindern. Ich habe sie glaube ich so oft gefragt, dass ich heute noch meine Eltern für ihre Geduld bewundere. Ihre Antworten auf meine doch recht konkrete Frage, waren dagegen vage… denn sie spürten, ich wollte keine Zeit hören, ich war es einfach satt! Mir war langweilig! Hätten Sie gesagt: Noch 5 Stunden und 20 Minuten – es wäre nicht gut gewesen! Also sagten sie so Dinge wie: „Es dauert nicht mehr lange. Wollen wir was spielen? Sollen wir eine Hörspielkassette einlegen? Komm, zähl doch mal die Autos, die grün sind. Schau mal, die schönen Berge da!“. Sie handelten weise… denn sie erkannten meine wahre Motivation hinter meiner Frage und versuchten darauf einzugehen. Aber ich kluges Kerlchen habe das natürlich irgendwann durchschaut und war dann wirklich frustriert. Ich wollte eine Antwort haben!! Und tatsächlich war dann alterstechnisch irgendwann die Zeit vorbei, dass sie mich hinhalten konnten…

Im Gebet findet etwas sehr Ähnliches statt! Wir Geschöpfe treffen auf unseren Schöpfer. Und auch wenn dieser uns sehr nah gekommen ist, so nah, dass er sogar in Jesus Mensch geworden ist, er bleibt eben Gott. Er bleibt Herr über dieses Universum. Da könnte man von einem gewissen Gefälle sprechen… und dieses ist weit extremer als zwischen Eltern und kleinen Kindern… und so bitten wir darum, Gottes Pläne zu erfahren. Bzw. erzählen ihm unsere Wunschvorstellungen und hoffen, dass er sie zu seinen Plänen macht. „Herr, mach doch, dass ich eine neue Arbeit bekomme! Herr, mach meinen Bruder gesund! Herr, verbessere unsere Ehe! Herr, nimm mir bitte meine Sorgen und Ängste!“ Kennen Sie solche Gebete? Ich kenne sie. Haufenweise. Stoßseufzer. Bitten aus Not. Aus einem wunden Herzen. Aus echter Bedürftigkeit. Und das ist auch vollkommen in Ordnung – es gibt im Gebet kein Tabu. Wir dürfen Gott all unsere Bedürfnisse hinwerfen, ohne Rücksicht auf Verluste. Gott kann damit umgehen. So zeigt es die Bibel auf mannigfaltige Weise. 

Das Problem ist nur: Er antwortet nicht immer. Und wenn er antwortet, dann ziemlich oft anders, als man damit gerechnet hat. Und das sorgt für massiven Gebetsfrust! Was spielen wir hier, Gott? Eine Art himmlisches Versteckspiel? Wir suchen dich und reden mit dir und du antwortest entweder nicht oder an uns vorbei? Schnell kommt eine quälende Frage hoch: Das soll die Liebe Gottes sein? Dann habe ich keine Lust mehr zu beten… und wenn es dann gut geht, dann bleiben wir noch irgendwie ein bisschen christlich… aber lebendiger Glaube fühlt sich wohl anders an. Oder wir verzweifeln ganz an diesem Gott. Eine dramatische, aber verständliche Konsequenz… doch so weit muss es nicht kommen. Denn schon im Alten Testament treffen wir genau auf diesen Ablauf von Gebet und vermeintlicher Fehlantwort Gottes. Und dieses Muster wiederholt sich vielfach. Zeit, es zu entdecken – vielleicht hilft es uns in unserem Gebetsfrust…

Gehen wir mal ganz weit zurück – zu einem der ganz Großen im Alten Testament – Mose. Dieser Mose hat so einiges erlebt… seine Berufung. Die Plagen in Ägypten und die Verschonung des Volkes Israel. Die Wüstenwanderung inklusive Teilung des Meeres. Brennende Dornbüsche, aus denen Gott redet. Sagen wir so: Nicht unbedingt wenig Gotteserfahrung. Doch wer glaubt, dass dieser Mose nun selbstsicher und ohne angefochten zu sein seinen Weg geht – der täuscht sich. Gott will ihn neu berufen am Berg Sinai. Erscheint ihm. Spricht mit ihm. Taucht ihn in seine Gegenwart. Und – reicht das nun? Nein… Mose betet ein Bittgebet. Und zwar ein ziemlich Mutiges, fast schon Dreistes… und das geht so:

Mose sagte zum HERRN: »Du befiehlst mir, dieses Volk nach Kanaan zu bringen, aber du hast mir noch nicht gezeigt, wen du mit mir senden willst. Du hast gesagt, dass du mich ganz genau kennst und ich deine Gunst gefunden habe. Wenn du nun wirklich zu mir stehst, dann lass mich deine Pläne erkennen! Ich möchte dich besser verstehen, damit du auch in Zukunft an mir Gefallen hast. Denke doch daran: Dieses Volk ist dein Volk!« (Exodus 33,12.13)

Ok, der Reihe nach. Du hast gesagt, dass du mich genau kennst… und ich deine Gunst gefunden habe… wenn du nun wirklich zu mir stehst, dann lass mich deine Pläne erkennen! – Das nenne ich mal krass. Eine Stufe vor Erpressung. Und Gott wird antworten – aber ganz anders als erwartet. Doch zuerst: Mose betet. Und er betet eigentlich aus einer inneren Not! Er möchte einen Begleiter, weil er sich überfordert fühlt gegenüber dem Volk. Er sehnt sich nach Sicherheit und will deswegen mal so grob wissen, was Gott mit ihm vorhat. Vollkommen verständlich. Und sein Gebet ist durchaus durchschaubar… neben der milden Erpressung versucht er es noch damit, seine Wünsche fromm zu tarnen: Ich möchte dich besser verstehen, damit du auch in Zukunft an mir Gefallen hast. – kurz: Wenn du mir deine Pläne nicht verrätst, dann kann ich auch nicht so handeln, wie es dir gefällt – selbst schuld! Und dann noch: Dieses Volk ist dein Volk! Jaja – ich soll es leiten… aber es ist dein Volk! Also solltest du mir schon mal den Langzeitplan verraten! 

Botschaft 1 an Sie als Hörer: Selbst dieses verwegene Gebet erschreckt Gott nicht im Geringsten. Er schaut sowieso hinter die Worte ins Herz und wird genau so antworten! Ich möchte Ihnen, möchte dir das zusprechen: Die Männer und Frauen der Bibel sind absolut authentisch und ehrlich im Gebet. Du darfst es auch sein! Lebendiges Gebet beginnt mit radikal natürlichem Sprechen zu Gott. Was im Herzen ist, darf raus und du musst es nicht mal verpacken wie Mose. Traust du dich das? Keine fromme Sprache ist nötig. Keine speziellen Rituale. Du sprichst als Freund zu einem Freund. Schon Mose bekommt das zugesagt von Gott – erst recht gilt das seit dem Neuen Testament, in dem Jesus sagt, dass wir seine Freunde sind und keine Sklaven und Diener mehr. Also: Bete, wie dir der Schnabel gewachsen ist, wonach dein Herz sich sehnt. So beginnt lebendiges Gebet immer. Aber die Antwort kann frusten… und darauf kommen wir gleich zu sprechen…

Mose bittet Gott also um Sicherheit. Planungssicherheit. Den Masterplan. Wie soll das laufen Gott, kannst du mich einweihen? Und Gott antwortet:

„Ich selbst werde dir vorangehen und dich zur Ruhe kommen lassen!“ (Exodus 33,14)

Super! Wieder mal so eine typische Gott-Antwort. Jesus wird das später übrigens auch immer wieder in Gesprächen so handhaben… dass er auf Dinge antwortet, die gar nicht gefragt wurden. Oder manchmal schlicht schweigt. Aber warum? Das kann einen doch wirklich anstrengen. Vorsichtig gesagt. Deutlich gesagt: Das kann einen im und am Gebet verzweifeln lassen. 

Aber entdecken wir doch mal das Herz Gottes hinter seiner Antwort. Mose hat zwei große Probleme: Er fühlt sich kräftetechnisch überfordert, weswegen er einen Mitstreiter will. Mose ist nicht immer der wagemutigste. Und er weiß nicht, ob er das Volk führen kann und wie das alles nun laufen wird. Immerhin war gerade ein Goldenes Kalb gebaut worden vom Volk, während er die 10 Gebote empfing – und das hatte doch recht massive Folgen… dieses Volk ist wie ein Kindergarten. Aller Altersstufen. Mit über 100 Kindern. Und nur einem Betreuer. Wahnsinn! Das ist Mose Anliegen und streng genommen antwortet Gott sogar darauf – nur ganz anders als erwartet. 

Gott sagt (1) Du fühlst dich allein und willst einen Mitstreiter? Ok – ich gehe mit. Nicht ganz die erwartete Antwort und Mose wird später an diesem Punkt hartnäckig bleiben und Gott wird ihm doch noch einen Mitleiter geben. Gott antwortet (2) Ich gehe nicht nur mit – ich gehe dir voran! Als Wolkensäule tagsüber und als Feuersäule nachts und du musst nur an mir dran bleiben mit dem Volk. Nicht gerade der große Übersichtsplan – eher totale Abhängigkeit. Tag für Tag. Keine Übersicht. Eine klare Leitung – aber mehr eben nicht. Und Gott antwortet (3), dass er Mose zur Ruhe bringen wird. Ok Mose – du fühlst dich überfordert – ich sorge dafür, dass du zwischendurch zur Ruhe kommst und dich erholst. Wie er das macht? Kein Ahnung. Er will es machen und Mose soll darauf vertrauen…

Spüren Sie, wie Gott hier ganz andere Antworten gibt? Mose hatte sich die Übersicht gewünscht. Was Gott vorhat in den nächsten Monaten bis Kanaan. Er hatte sich konkrete Unterstützung gewünscht… und nun das. Zusagen – sicherlich. Aber reicht das? Mose reicht es nicht… er wird nachhaken und wirklich penetrant weiter Gott bitten, aber das interessiert uns gerade nicht weiter. Worum geht es aber Gott hier? Finden wir darin einen Weg aus unserem Gebetsfrust? Gott macht ein dreifaches Angebot – das aber so ganz anders ist, als das von Mose Erwartete…

  1. Ich bin bei dir jeden Tag. Jesus wird das später am Ende eines Evangeliums sagen: Ich bin bei euch jeden Tag… bis an das Ende der Zeiten. Jede Sekunde deines Lebens ist von Gott umfangen, ist von Gott geborgen. Jede Sekunde. Diese Zusage wird im Neuen Testament noch durchschlagender. Denn während Mose eine herausragende Leiterpersönlichkeit ist, der Gott begegnet, sagt Jesus das jedem Menschen zu, der sich für seine Gegenwart öffnet. Ich bin da. Bei dir. Immer. Jesus zeigt uns zugespitzt den Gott, der Beziehung will. Der mit uns leben will. 
  2. Ich gehe dir voran und leite dich Schritt für Schritt. Wir wünschen uns oft im Gebet konkrete Wegweisung oder aber schicken unsere Wünsche ab wie an ein Orakel… in der Hoffnung, dass eine konkrete Antwort kommt… die uns Kontrolle gibt über unser Leben. Die uns hilft, wieder auf Sicht zu leben und nicht im Blindflug. Eine Antwort, die uns zumindest manche der Wünsche erfüllt… aber Gott… antwortet anders. Im 32. Psalm beschreibt Gott seine Art der Leitung: Mit seinen Augen. Ich will dich mit meinen Augen leiten. Merkst du, wie diese Leitung funktioniert? Keine Landkarte. Keine Wunscherfüllung pauschal. Gott will seinem Menschen in die Augen schauen. Und indem die Augen sich treffen, geschieht Leitung… geh da weiter. Schau hier… Die Antwort auf das Gebet von Mose zeigt auch im zweiten Teil eins: Gott will nahe, persönliche Beziehung. Ein Miteinander. Unterwegs sein. 
  3. Ich bringe dich zur Ruhe. Was ist das für eine Ruhe, von der Gott spricht. Ein Brief des Neuen Testaments greift diese Ruhe auf und spitzt sie zu. Der Schreiber des Hebräerbriefs schildert uns, dass es eine spezielle Ruhe Gottes gibt, die den Menschen der Zeit von Mose zwar versprochen wurde – in die sie aber durch ihren Ungehorsam nicht eintreten konnten… heute aber – so sagt er – ist die Ruhe für jeden frei betretbar, der Jesus Christus Raum in seinem Leben gibt. Die Ruhe Gottes. Das klingt total abstrakt – aber es ist eine besondere Form der Ruhe in Gott, die jede andere Unruhe und Sorge stillt… und wir können friedlich werden. Wie ein gerade gestilltes Kind… entspannt, zufrieden, still und zuversichtlich. Was sehne ich mich immer wieder nach dieser Ruhe! Ich vermute, die meisten von uns tun das! Was will Gott damit stärken: Wieder die Beziehung, die heilsame Bindung zwischen uns und ihm. Es geht also in allen drei Gebetsantworten um Beziehungsaussagen! Gott will leben, gehen, weinen, lachen, entscheiden, Kraft geben – einfach alles mit seinem Mose und auch mit dir! Mose hat Wünsche und äußert Bedürfnisse – aber anstatt dass Gott diese direkt und pragmatisch beantwortet, verweist er auf die liebevolle und enge Beziehung zu sich…

Und so kommen wir an das Ende der Predigt. Und stellen fest: Na, das mit den Eltern im Auto und dem quengeligen Kind, dass endlich da sein möchte – das ist gar nicht so weit entfernt von unserem Gespräch mit Gott. Er schaut eben in unser Herz, er weiß, was wir wirklich brauchen und deswegen übergeht er dezent das Gebet der Wunscherfüllung und schwenkt um auf ein Gebet der Beziehungserfüllung. Er sagt dir und mir: „Du hast keine Lust zu beten? Ich auch nicht. Lass uns einfach reden und Gemeinschaft haben. Du und ich. Zeit miteinander verbringen und austauschen und ich leite dich dabei weiter. Tag für Tag. Du bleibst in der Abhängigkeit von mir. Aber nicht weil ich das brauche für mein Ego, sondern weil du es brauchst für dein Herz! So kannst du befreit leben!“. Im Gebet geht es immer zuerst um die Beziehung zu Gott und unser Reden mit ihm soll diese Beziehung vertiefen und stärken. Und in diesem Miteinander klärt sich der Rest. Tag für Tag. Stück für Stück. So kann man beten. Amen.